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Wer war Joseph Roth?
Doch zunächst eine kurze Vorstellung des Schriftstellers Moses Joseph Roth. Das Licht der Welt erblickte er vor mehr als hundert Jahren am 2. September 1894 in Brody, einer mittelgroßen Stadt im damals österreichischen Galizien. Wer war er? Ein Poet, ein Journalist und wie alle Juden ein Opfer des Dritten Reiches, außerdem ein stets von neuem enttäuschter Moralist, ein Augenzeuge seiner Zeit, rastlos, empfindsam und aggressiv zugleich, im Grunde seines Herzens ein Träumer und Menschenfreund, verletzlich wie ein Kind, lebensuntüchtig und anfällig für Depressionen, "ein Spezialist für verlorene Menschen", meinte einmal sein Freund Hermann Kesten.
Ursprünglich war Joseph Roth ein revolutionär gesinnter Romancier und liebäugelte für kurze Zeit mit dem Sozialismus. In den letzten Lebensjahren neigte er dem Katholizismus zu, ohne zu konvertieren. "Christus liebte er um der Liebe willen, Jehova um der Gerechtigkeit willen, die amerikanische und Französische Revolution um der Befreiung der Armen willen", behauptete Kesten. Widersprüchlich wie sein Wesen, sind auch die Aussagen seiner Freunde über ihn gewesen. "Roth war schwermütig", sagen die einen. "Er war leichtlebig", behaupten die anderen." "Er liebte das Militär", heißt es weiter und: "Er hasste das Militär", "er war Leutnant in der k.und k.Armee", "er war ein Sozialist", "er war ein Monarchist", "er war ein Glaubensjude", "er war ein eifriger Katholik". Von sich selbst sagte er, er sei "böse, besoffen, aber gescheit."
Geprägt wurde Roth in früher Jugend durch seinen jüdischen Großvater Jechiel Grübel und sein Geburtsland Galizien. Seinen Vater, der Roths Mutter schon vor der Geburt des Sohnes verlassen hatte, hat er nie kennen gelernt. Er war, so schrieb Roth, "ein Österreicher vom Schlage der Schlawiner". Der Vater starb, als sein Sohn sechzehn Jahre alt war, "im Wahnsinn". Ein einschneidendes Ereignis in Roths Leben war in den zwanziger Jahren die geistige Erkrankung seiner Frau Friedl Reichler. Die Ärzte diagnostizierten Schizophrenie und wiesen sie in ein Sanatorium ein. Im Juli 1940, ein Jahr nach Roths Tod, wurde sie von den Nazis als Geisteskranke ermordet.
Wie viele Juden hat sich Roth zeitlebens mit dem Judentum und dessen Verfolgungsgeschichte auseinander gesetzt. Dabei hat er das orthodoxe Ostjudentum, das jede Assimilation ablehnt, stark idealisiert. Das liberale und national denkende jüdische Bürgertum dagegen beschuldigte er, an der eigenen Katastrophe mitgewirkt zu haben. Am Tag von Hitlers Machtübernahme verließ der österreichische Schriftsteller Joseph Roth Deutschland. Zufluchtsort war Paris.
Roth war verzweifelt. Vor allem schockierte ihn die Gleichgültigkeit der europäischen Öffentlichkeit gegenüber der Judenverfolgung. "Die Hölle regiert. Wir haben alle die Welt überschätzt", schreibt er an Stefan Zweig."Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben. Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen." Trotz aller Schwermut stieg Roths Schaffenskurve noch einmal an. Er schrieb etliche Bücher. Aber er fängt auch wieder an zu trinken. Im Café Tournon verbringt der heimatlos Gewordene die meiste Zeit. Er gerät in materielle Not und verfällt zusehends.
Am 23.Mai 1939 bricht Roth bei der Nachricht von Ernst Tollers Selbstmord in seinem Stammcafé zusammen. Vier Tage später stirbt er und wird auf dem Vorstadtfriedhof Thiais begraben. Als am Grab vom treuen Kämpfer der Monarchie die Rede ist, protestieren die Kommunisten. Als der katholische Priester sein Ritual beginnt, murren die Ostjuden. Ein Freund Roths verzichtet darauf, das Kaddisch zu sprechen. Selbst am Grab gibt es Streit um die Einordnung des Einzelgängers.
Dreizehn Romane, acht Erzählungen und hunderte von Reisebildern, Feuilletons, Rezensionen und Glossen hat Roth veröffentlicht. Begonnen hat er 1923 mit dem politischen Kolportageroman "Das Spinnennetz". Ein Jahr darauf erschienen "Hotel Savoy" und "Die Rebellion". In dem zuletzt genannten Roman hat der Dichter zum ersten Mal ein Hiob-Schicksal gestaltet: Der obrigkeitsgläubige Andreas Pum verliert seine bescheidene kleinbürgerliche Existenzgrundlage, gerät in die Gewalt des Polizei- und Justizapparates, lehnt sich gegen die Sinnlosigkeit seines Leidens und die Ungerechtigkeit der Obrigkeit, die er mit Gott identifiziert, auf und beendet sein trostloses Leben als Aufseher in einer Herrentoilette. Drei Jahre später schreibt Roth seinen viel beachteten Essay "Juden auf Wanderschaft". Es folgen "Hiob"(1930), "Radetzkymarsch"(1932), "Tarabas. Ein Gast auf dieser Erde" (1934), "Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht"(1936), "Das falsche Gewicht. Die Geschichte eines Eichmeisters"(1937), "Die Kapuzinergruft"(1938) und die Geschichte von der 1002.Nacht"(1939). Postum wurden "Die Legende vom heiligen Trinker" und "Die Eiche Goethes in Buchenwald" herausgegeben.
Seine Bücher sind "eine sonderbare Mischung aus Naivität und Skepsis,..aus östlicher Phantasie und westlicher Paradoxie, aus christlicher Demut und jüdischem Zweifel", befand einmal der Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki in einer Rezension. In Roths letzten Werken wirken die Helden monomanisch, bindungsunfähig und entwurzelt wie ihr Verfasser.
Das erfolgreichste Buch war und blieb jedoch "Hiob" mit dem Untertitel: "Roman eines einfachen Mannes". In ihm (das sei hier nur vorausgeschickt) spiegelt sich die Urgestalt des jüdischen Volkes und in gewissen Momenten auch Roths eigenes Leben und eigene Befindlichkeit. Dieser Roman gewann, wie sein Biograph Helmuth Nürnberger anmerkt, "die Seelen".
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