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Blinder Sommer

Warum aber schrieb sie ab 1956 wieder deutsch? Sie selber gab die Antwort: "Mysteriös, wie sie erschienen war, verschwand die englische Muse. Kein äußerer Anlass bewirkte die Rückkehr in die Muttersprache. Geheimnis des Unterbewusstseins." Das leichte wandelbare Wort wurde ihr nach dem Verlust aller Sicherheit zum unzerstörbaren Halt. Im Mittelpunkt ihrer Gedichte stehen das Grauen der Verfolgung, die Trauer um die verlorene Heimat, Erinnerungen an die Eltern und an glückliche Kindertage, die Erfahrung von Verlassenheit und Einsamkeit in der Fremde. Ihre Gedichte, die mit der Zeit immer kürzer und dichter werden, sind Gespräche, Selbstgespräche des lyrischen Ich und Anreden an ein Gegenüber.

Der Gedichtband "Blinder Sommer" entlarvt die Nachkriegszeit als heillose Epoche, weil in ihr die Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen dem Verderben ausgesetzt sind. Mit der Metapher "Aschensommer" im Titelgedicht verweist sie auf die Judenvernichtung und macht so die historische Ursache dieser Wandlungen kenntlich.

"Die Rosen schmecken ranzig-rot /
es ist ein saurer Sommer in der Welt /
Die Beeren füllen sich mit Tinte /
und auf der Lammhaut rauht das Pergament /
Das Himbeerfeuer ist erloschen /
es ist ein Aschensommer in der Welt /
Die Menschen gehen mit gesenkten Lidern /
am rostigen Rosenufer auf und ab /
Sie warten auf die Post der weißen Taube /
aus einem fremden Sommer in der Welt /
Die Brücke aus pedantischen Metallen /
darf nur betreten wer den Marsch-Schritt hat /
Die Schwalbe findet nicht nach Süden /
es ist ein blinder Sommer in der Welt."

Rose Ausländer denkt an die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Czernowitz - nur 5 000 von 60 000 haben dort die deutsche Besatzung überlebt - und dichtet:

"Sie kamen /
mit scharfen Fahnen und Pistolen /
schossen alle Sterne und den Mond ab /
damit kein Licht uns bliebe /
damit kein Licht uns liebe /
Da begruben wir die Sonne /
Es war eine unendliche Sonnenfinsternis."

Asche, Urne, Schatten, Finsternis, Feuer, Schwert, Rauch und Atem sind häufig wiederkehrende Schlüsselwörter in ihren Gedichten.

Sie gibt gefilterte Erfahrung weiter, das Weggleiten der Wirklichkeit und das

"Trostwunder", darüber schreiben zu können. Am Ende wird der Schrecken dieser Gegenwelt durch andere Gedichte "Israel" und "Im Chagall-Dorf" aufgehoben. Das gelobte Land und die Kunst des jüdischen Malers erscheinen als Versprechen eines neuen Lebens.

"Zurück /
ins zukünftige /
Meinland Deinland /
Hier heißt der Stein /
Zeder Zitrone /
unvergesslich /
die stählernen Brüder /
vergaßen den Schlaf /
Nicht ins Schlaraffenland /
komm /
ins stachlige Hier /
auf rebellischem Boden /
verlässlich die Hüter /
pflanzen /
beständigen Traum /
Komm /
ins Zurück /
die Stacheln grünen /
Saft /
aus dem Stein /
schlägt der Mosessohn."

"Im Chagall-Dorf /
weidet die Kuh /
auf der Mondwiese /
goldne Wölfe /
beschützen die Lämmer."

Emigration und fremd gewordene Heimat drückt sie zum Beispiel in folgendem Gedicht aus:

"Wir kamen heim /
ohne Rosen /
sie blieben im Ausland /
Unser Garten liegt /
begraben im Friedhof /
Es hat sich /
vieles in vieles /
verwandelt /
Wir sind Dornen geworden /
in fremden Augen."

An ihre Kindheit in der Bukowina denkt sie in folgenden Versen :

"Landschaft die mich /
erfand /
wasserarmig /
waldhaarig /
die Heidelbeerhügel /
honigschwarz /
Viersprachig verbrüderte /
Lieder /
in entzweiter Zeit. /
Aufgelöst /
strömen die Jahre /
ans verflossene Ufer."

Und:

"Ich vergesse nicht /
das Elternhaus /
die Mutterstimme /
den ersten Kuss /
die Berge der Bukowina /
die Flucht im Ersten Weltkrieg /
den Einmarsch der Nazis /
das Angstbeben im Keller /
den Arzt, der unser Leben rettete /
das bittersüße Amerika /
Hölderlin Trackl Celan /
meine Schreibqual /
den Schreibzwang noch immer."


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