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ANNEMARIE PIEPER: Gut und Böse. 127 S., Beck Verlag, München 1997;

Die Baseler Philosophieprofessorin Annemarie Pieper analysiert das Problem des Guten und Bösen aus alltagssprachlicher,naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Sicht. An den Anfang ihrer Untersuchungen stellt sie die Fragen: Warum sind die Menschen nicht einfach gut? Liegt die Ursache des Bösen im "Sündenfall",in egoistischen Genen oder in ungünstigen sozialen Bedingungen? Anscheinend entsteht das Böse, vermutet sie, durch maßloses Wollen, das im Guten, das sich gemeinschaftsbildenden Regeln verpflichtet weiß, keine Befriedigung findet. Wer das Böse will, will etwas Einzigartiges sein, ein radikaler Individualist, der sich nicht um das Wohlergehen der Mitmenschen schert. Andererseits gibt es laut Hannah Arendt auch die Banalität des Bösen, verkörpert durch Adolf Eichmann,dessen fehlendes Einsichtsvermögen ein mangelndes Unrechtsbewusstsein bedingte. Immerhin war Eichmann ein Mensch, der, wie viele andere in einem totalitären Staat,sich nur als Befehlsempfänger verstand, für den sich Pflichterfüllung und Verantwortung auf die Ausführung von oben erteilter Befehle erstreckten, ohne dass er sich selbst über die Vernünftigkeit und Moralität des von ihm Verlangten Gedanken machte. Anders wiederum verhält es sich mit jenen, die an der Spitze einer Hierarchie stehen und ihre Macht zur Durchsetzung des Bösen missbrauchen.

Oft bemüht man sich, fährt die Autorin fort, bei Verbrechern Anomalien des Gehirns oder defekte Gene nachzuweisen. Letztlich seien solche Versuche nur ein Indiz für unsere Hilflosigkeit, mit der wir auf Verhaltensweisen reagieren, die kollektive Werte, Normen und fundamentale Menschenrechte verhöhnen. Dass jemand in vollem Bewusstsein des Bösen sich für das Böse entscheidet, übersteigt offensichtlich unser Vorstellungsvermögen.

Während die naturwissenschaftliche Betrachtungsweise die biologische Vorgeschichte des Menschen zur Erklärung seiner Verhaltensweisen heranzieht und die vergleichende Verhaltensforschung das Verhalten aller Lebewesen unterschiedslos auf das Diktat der Gene zurückführt, schreiben Psychoanalytiker und Soziologen für die Herausbildung guter und böser Interaktionsmuster dem sozialen Milieu eine entscheidende Bedeutung zu. Aus soziologischer Perspektive trägt das gesellschaftliche Umfeld mindestens eine Mitschuld, wenn nicht gar die ganze Schuld, wenn Menschen scheitern, sofern repressive Strukturen des sozialen Systems eine freie,individuelle Selbstentfaltung unmöglich machen. Sogar Freud nahm an, dass der Mensch seinem psychischen Apparat nicht hilflos ausgeliefert ist, sondern dass er sich bis zu einem gewissen Grad davon befreien und Herr im eigenen Seelenhaushalt werden kann. Das Böse war für Freud wiederum nicht etwas Selbstverschuldetes, vielmehr eine natürliche Reaktion auf eine als Unrecht erlebte Verletzung als auch eine List der Kultur, um das Ich zum Triebverzicht zu zwingen. Erich Fromm wiederum lastete das Versagen eines Menschen dem Destruktionstrieb an, den er im Unterschied zu Freud nicht für angeboren hielt, sondern für eine ursprüngliche Kraft, die erst durch ungünstige Umstände zerstörerisch wirkt.

In der Theologie sind ebenfalls verschiedene Ansichten darüber entwickelt worden,was den Menschen zu Fall brachte. Die einen glauben, Gott sei mit verantwortlich für das Böse in der Welt, andere wiederum hängen der Sündenfall-Theorie an, die alle Schuld Eva und Adam zuweist. Allerdings sei schwer zu verstehen, so der Einwand der Autorin, worin genau die Verfehlung der ersten Menschen besteht, die ihrem Schöpfer zwar nicht gehorchten, aber doch hofften, etwas zu wissen bekommen, das sich zu wissen lohnt. Immerhin erscheint die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies als eine Überreaktion Gottes, die ihren Grund darin haben könnte, dass Gott die Menschen nur als ihm ähnliche, nicht aber als ihm gleiche Wesen wollte.

Für die antiken Philosophen,die den Kosmos als vollendetes, harmonisches Ganze begriffen, in dem kein Platz für Böses war, kam als Urheber des Bösen nur der Mensch in Frage, der aus der kosmischen Ordnung herausgefallen war und dabei die Orientierung verloren hatte. Annemarie Pieper diskutiert metaphysische Deutungsmuster-monistische und dualistische Modelle in der abendländischen Philosophie sowie ethische Entwürfe und setzt sich in diesem Zusammenhang mit Immanuel Kant, Sören Kierkegaard und Friedrich Nietzsche auseinander. Pädagogen, Philosophen und Theologen sind bei der Feststellung des Bösen jedoch nicht stehen geblieben, sondern haben sich auch Gedanken darüber gemacht, wie man Menschen durch entsprechende Erziehungsprogramme und Utopien für das Gute konditionieren könnte mit geringem Erfolg. Denn schon in den klassischen Utopien neigte die ethisch-praktische Vernunft als Konstrukteurin der idealen Gesellschaft zum Terror und zur Unterdrückung der Freiheit, weil sich die Menschen nicht einfach zum Guten verpflichten lassen und weil jeder unter dem Guten etwas anderes versteht. Das Gute läßt sich, so Piepers Schlussfolgerung, nicht ohne das Böse verwirklichen.

Ob die Bosheit dem Menschen angeboren ist oder durch schlechte Umstände begünstigt wird, ist eben so wenig eindeutig entscheidbar wie die Frage, ob Anlagen zum Guten existieren, die mangels Förderung oder aufgrund schlechter Vorbilder unentwickelt bleiben. So viel indes ist sicher:der Mensch läuft ständig Gefahr, sich zu verfehlen. Gleichwohl hat er jederzeit die Möglichkeit, den Hang zum Bösen zu überwinden.

Gut und Böse bleiben auch für Annemarie Pieper letztlich ein Rätsel. Wahrscheinlich haben wir immer schon, nimmt sie an, ein intuitives Verständnis von Gut und Böse,wenn wir handeln. Sobald wir gegen moralische Spielregeln verstoßen, meldet sich im "Gewissen" ein Unrechtsbewusstsein, und wenn wir andere offenkundig ohne jedes Anzeichen von Schuld, böse oder schlecht handeln sehen, dann stellen wir uns die Frage, was wir mit Gut und Böse eigentlich meinen. Nicht selten fühlen wir uns dann gezwungen, unsere moralischen Urteile zu begründen und zu rechtfertigen.

Die Autorin macht deutlich, dass die verschiedenen Anläufe zur Erklärung der Herkunft des Bösen immer dort an einen toten Punkt geraten, wo das Prinzip der Freiheit zur Disposition steht. Entweder ist der Mensch determiniert - dann muss die Rede von Gut und Böse fallen gelassen werden, weil niemand verantwortlich für sein Tun ist- oder der Mensch ist frei - dann freilich ist es unerklärlich, warum er sich trotz Einsicht in das Gute grundsätzlich oder gelegentlich für das Böse entscheidet. Annemarie Pieper kommt nicht umhin wie viele andere auch zu bekennen, dass sich das Mysterium Mensch allen wissenschaftlichen Lösungen entzieht.


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