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BERND J.CLARET: Geheimnis des Bösen. Zur Diskussion um den Teufel. Innsbrucker theologische Studien 49. 440 S., Verlagsanstalt Tyrolia Innsbruck 1997;

Bernhard J.Claret plagt sich gleichfalls in seiner für den Druck überarbeiteten Dissertation mit den Fragen herum: Woher kommt das Böse und wie kommt man ihm bei? Obwohl er Rat bei Theologen und Philosophen sucht, zieht er eindeutig die theologische Perspektive vor.

Mit der Annahme der Existenz des Teufels sei es möglich, nicht nur die menschliche Sünde in ihrem Entstehen als ein Nachgeben gegenüber einem Versucher oder einer Versuchung zu verstehen, sondern auch die Grausamkeiten der Natur dem Menschen gegenüber, hebt Claret hervor und weist darauf hin, dass die Aufklärung mit ihrer Wertschätzung der Vernunft den bis dahin ungebrochenen Glauben an das Wirken übermenschlicher Wesen zum Verschwinden gebracht und dem Teufels- und Dämonenglauben den Abschied gegeben hat. Heute gelten die kirchliche Lehre über Teufel und dämonische Besessenheit als Zumutung an die menschliche Vernunft. Viel mehr als"metaphysische Fledermäuse"(diesen Ausdruck schuf der Kirchenhistoriker Carl Hase) vermag der moderne Mensch in dem,was die Kirche Engel, Dämonen und Teufel nennt, durchweg nicht mehr zu erkennen. Damit habe sich auch das Verständnis des Bösen entscheidend verändert. Es wurde relativiert und entschärft. Claret zitiert E.L.Marquards Ausspruch von der "Entbösung des Bösen".

Der Autor vergegenwärtigt eindringlich den derzeitigen Erfahrungshorizont, der geprägt ist von Aufklärung, Säkularisation und "Entzauberung der Welt", aber ebenso durch neue religiöse Bewegungen und die Wiederkehr mythischen Denkens. Trotz der Re-Mythisierung seien viele Menschen, insbesondere die Anhänger von New-Age unfähig, die Position des Bösen in der Welt wahrzunehmen. "Die verdammten Fragen", die sich Dostojewski noch stellte und die aus der Begegnung mit dem Leid und dem Bösen erwachsen, belasten nicht mehr den Menschen von heute. Dieser wolle sich, so Claret, nur trösten lassen und von einer Welt träumen, die ohne Leid ist, wodurch die Geschichte der Lebenden, die auch immer eine Leidensgeschichte gewesen sei, ausgeblendet werde.

Intensiv und gründlich geht Claret auf Herbert Haags Plädoyer für einen "Abschied vom Teufel" ein und auf sein Bemühen, den Teufel aus dem christlichen Glaubensgut zu eliminieren.

Was geschieht eigentlich, wenn das Böse Ereignis wird? Was geht in einem Menschen vor, wenn er etwas wirklich Böses tut und damit der Wirklichkeit des Bösen begegnet? fragt sich Claret im Laufe seiner langwierigen Untersuchungen. Er schildert, wobei er Bezug nimmt auf Erzählungen von Schopenhauer und Dostojewski sowie auf brutale Vorfälle in unserem Jahrhundert, verwerfliche Taten, die sich durch nichts rechtfertigen lassen und die Frage nach dem Warum und Woher des Bösen evozieren. Nicht wenige würden durch solche Geschehnisse veranlasst,Gott zu leugnen oder zu verfluchen. Claret bezieht sich dabei ausführlich auf Ricoeurs Beitrag zur Diskussion des Teufels in seiner zweibändigen "Phänomenologie der Verfehlung". Laut Ricoeur gestatten die Schlange im Paradies und das Symbol des Satans, den Ursprung des Bösen in eine vormenschlich dämonische Realität zu verlegen, die immer schon vorhanden ist, bevor der einzelne Mensch Böses begeht. Bei Ricoeur bringt der Teufel zwar das Phänomen des Bösen zur Sprache, doch könne dieser Verführer dem Menschen nicht als Entschuldigung dienen. Denn es besteht, wie Claret im Fahrwasser von Ricoeur kategorisch erklärt, kein Zwang zum Sündigen. Gerade Auschwitz stelle die Theologie vor die Frage, ob nicht stets mit der Existenz eines Teufels im Sinne eines geistbegabten Geschöpfs zu rechnen sei, das Menschen ins Unheil zu ziehen versucht. Auschwitz steht immerhin für jenes Böse,das sich allein mit Theorien des individuellen Bösen nicht begreifen läßt, für ein Böses, das vom Menschen verursacht wird und das dennoch einzelnen Personen nicht zugerechnet werden könne, weil es den Kreis individuellen Handelns, individueller Verursachung und Verantwortlichkeit weit überschreitet.

Die Fehlbarkeit des Menschen ist zwar die Bedingung des Bösen, aber in der geschichtlichen Erfahrung findet jeder das Böse bereits vor. Die Welt ist gewissermaßen eine Einladung zur Verzweiflung, zum Missbrauch der Freiheit, und vor einer solchen Versuchung ist kein Mensch gefeit. Somit ist der Mensch nicht nur schuldiger Urheber, sondern ebenso ein Opfer des Bösen. Er ist nicht das absolut Böse, sondern der Böse an zweiter Stelle, der Böse durch Verführung. Der Mensch und der Teufel sind zweierlei, der Mensch ist und bleibt immer ein Mensch und wird einerlei, was er tut, niemals zum Bösen in Person. Das heißt allerdings nicht, dass der Mensch aus der Verantwortung entlassen wird, obgleich er nicht der Urheber des Bösen ist, sondern nur aufgrund der Eingebung des Teufels sündigt.

Allerdings liefert der Teufel ebenfalls keine endgültige Erklärung für den Ursprung und das Wesen des Bösen, geschweige denn für seine Überwindung. Aber solange es eine Lehre vom Teufel gibt, sei es nicht nötig, um Gottes willen das Böse wegzudisputieren oder zu relativieren, noch umgekehrt um des Bösen willen Gott zu leugnen. An beidem kann festgehalten werden, am Glauben an Gott als mächtiger Liebe und an der Wirklichkeit des Bösen. Die Schwierigkeiten, die ein Festhalten am Teufel in einer aufgeklärten Zeit mit sich bringt, lassen sich beheben, wenn man den Teufel im Sinne Ricoeurs als echtes Symbol versteht. Auf diese Weise vermeiden wir sowohl eine verharmlosende Sicht des Bösen als auch eine verharmlosende Sicht des Menschen. Gleichwohl spricht der Autor noch eine letzte Vermutung aus: vielleicht habe Gott den Menschen in eine evolutiven Schöpfung eingebettet und damit viel Elend in Kauf genommen, um uns Gewissheit zu geben, dass es"bezüglich des Heils keinen 'point of no return' geben wird" (S.388). Zu verkündigen sei daher nicht die Botschaft vom Teufel, sondern das Wort der Befreiung aus der Gefangenschaft des Bösen.

Claret holt weit aus, verrät fundierte Kenntnisse und gründliche Auseinandersetzung mit seinem Thema. Da er sich in der Fachbuchliteratur gut auskennt, sind seine Ausführungen schon aus diesem Grund anregend und lesenswert.

Müssen wir indessen wirklich an den Teufel glauben, um dem Geheimnis des Bösen auf die Spur zu kommen? Folgt man den Überlegungen des Darmstädter Philosophieprofessors Gernot Böhme, können wir der Aufklärung durchaus treu bleiben, und zwar indem wir nicht ein personalisiertes Böse annehmen und zugleich der Erfahrung Rechnung tragen, dass das Böse überindividuell ist und sich nicht selten gegenüber dem einzelnen verselbstständigt. "Diese Möglichkeit, dass das Ganze falsch sein kann, wie Adorno sagt, sei es nun das 'System',der Staat oder die gesellschaftliche und ökonomische Ordnung, ist als ethische Grunderfahrung des 20.Jahrhunderts festzuhalten"(S.72), schreibt Böhme und führt weiter aus, dass die Ethik heute - nachdem ihr Kants Vertrauen in eine moralische Weltordnung längst abhanden gekommen ist - von der Erschütterung des moralischen Vertrauens ausgehen müsse, davon dass das Ganze womöglich falsch ist, der Staat vielleicht kriminell, die Wirtschaft ausbeuterisch und die Lebensbedingungen unmenschlich.

Nach der Lektüre der vorgestellten Bücher drängt sich dem Leser die Einsicht auf: Philosophen und Theologen tragen wohl zur Erhellung des Bösen eine Fülle aufschlussreicher Gedanken bei, nicht selten mit Rückgriff auf illustre Vorgänger, aber mit einer alle zufrieden stellenden Antwort auf die Frage nach Ursprung und Wesen des Bösen sind sie, wie alle anderen Sterblichen auch, schlichtweg überfordert.


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