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Auseinandersetzung mit Problemen der Zeit

Wichtig war ihr die mit literarischen Mitteln geführte Auseinandersetzung mit Fragen, die ihr und ihren Zeitgenossen den Schlaf rauben oder jenen, die den Schlaf der selbstgerechten Wohlstandsbürger schliefen, rauben sollten. Sie scheute sich nicht, beim Schreiben an ihre Leser zu denken, und die dankten es ihr mit fast beispielloser Resonanz. Kam sie doch dem Bedürfnis nach religiöser Erbauung mit Figuren von charismatischer Ausstrahlung entgegen.

Sie habe die ideologischen Gegensätze versöhnen wollen, schrieb ein Kritiker, dies sei mit einer emotionalen Überhitztheit der Figuren und einem naiven Verständnis des Guten erkauft worden. Sie habe ein hohes Maß an gutem Willen" besessen, bescheinigt ihr Walter Hinck, und habe gleichzeitig "an Trübung der Wirklichkeitssicht" gelitten.

Das Religiöse spielte dabei immer eine dominierende Rolle. "Ich komme aus dem katholischen Milieu, aber aus keinem mich einengenden, sondern aus dem bayerischen barocken Katholizismus", heißt es bei ihr. Die Sinnlichkeit des süddeutschen-katholischen Kultus verlor niemals seine Faszination auf sie. Allerdings wurde die ursprüngliche katholische Position durch zunehmend scharfe Kritik an der Kirche und eine gewisse Neigung zu esoterischen Bewegungen und fernöstlicher Mystik ausgedehnt.

Bis zuletzt war sie eine streitbare und umstrittene Katholikin. Zuwider waren ihr Enge und Mief klerikaler Bevormundung. Sie legte sich mit der Amtskirche an und wetterte gegen den päpstlichen Pillenkrieg und das "mörderische Zölibat".Sie plädierte dafür, dass jeder seinen eigenen Weg zu Gott finden müsse. Sie selbst sagte über Gott:"Es gibt etwas, was wir Gott nennen. Ich weiß aber nicht, was das ist." und ferner: "Ich kenne keinen personalen Gott. Die meisten Leute sind Kinder. Sie brauchen noch einen Vater oder eine Mutter, eine Hand. Das brauche ich nicht. Für mich ist Gott ein unermesslicher Energiestrom. Sie können es Liebe nennen oder Sympathie oder was auch immer. Aus diesem Strom ist die Schöpfung hervorgegangen, und da geht mein kleines Leben auch wieder hin."

Auf die Frage: "Hat Beten einen Sinn?" antwortete sie einmal in Buchlänge. Dabei vernachlässigte sie das Außen keineswegs. "Ich suche hier keinen Frieden, ich lasse nicht die Welt außen vor der Tür, um drinnen, allein auf spirituelle Weise glücklich zu sein; ich nehme vielmehr entschlossen die Unruhe der Welt mit hinein, schrieb sie in "Septembertag", und sagte an anderer Stelle: "Christentum bedeutet für mich das absolute Engagement für den Menschen." Als sie das Wort des großen Augustinus gelesen habe:"Liebe und tu, was du willst" habe sie begriffen, dass dies ihr "Ordnungsort" sei.

In kirchlichen und politischen Debatten erhob sie lautstark ihre Stimme und unterstützte Minderheiten, redete einer feministischen Theologie das Wort und hätte gern den Marxismus mit dem Christentum in Einklang gebracht. Sie sei "Christin und Sozialistin" und nehme die Finsternisse der Zeit zur Kenntnis und bleibe trotzdem hoffnungsvoll. Als praktizierende Katholikin und als couragierte und verantwortungsbewusste Rebellin entwickelte sie in der Auseinandersetzung mit der Welt ihrer Herkunft ihren sprachmächtigen Widerspruchsgeist.

"Ich bin für den echten Sozialismus, der eine religiöse Ausrichtung hat", schrieb Luise Rinser, die sich selbst als "Linkskatholikin" bezeichnete oder als sozialistische Christin und christliche Antifaschistin. In einem ihrer Bücher sah sie sich als eine Art Jeanne d'Arc im Kampf gegen das Böse mit Mut und Lust am Widerspruch. "Man hält mich für ein frommes und sanftes Wesen, das ich nicht bin und auch im Alter nicht sein werde", betonte sie streitlustig und auch, dass jeder Mensch mitverantwortlich sei für das, was in der Welt geschieht. "Jeder Mensch greift mit seinen kleinsten Regungen und Gedanken in das Weltgeschehen ein."


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