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Kant und die katholische Kirche
Lange Zeit hat sich die katholische Kirche mit Kant sehr schwer getan. Über ein Jahrhundert durften sich ihre Gläubigen mit dem Königsberger Philosophen nicht befassen. Wer es dennoch tat, musste dies beichten.
Zu seinen Lebzeiten ist der Königsberger Philosoph von katholischen Kirchenfürsten indes geschätzt worden. Katholische Frühkantianer wie der Würzburger Benediktiner Matern Reuß (1751-1798) und Sebastian Mutschelle (1749-1800) konnten sich noch ungehindert und ohne allgemeine kirchliche Aburteilung auf seine kritische Philosophie einlassen. Im Grunde war ihre Begeisterung für den Philosophen nicht weiter verwunderlich, ließ sich doch mit seiner Hilfe gegen die auch der Kirche verhassten Deterministen, Fatalisten, Materialisten und Atheisten gut argumentieren.
Doch allmählich wurde Kant, als sich die Neuscholastik im kirchlichen Raum immer stärker durchsetzte, zum Hauptfeind des katholischen Lehrsystems. Schließlich wurde seine Lehre als Erbsünde der Neuzeit gebrandmarkt und scharf zurückgewiesen. Was manche katholischen Kant-Kritiker, wie Michael Glossner (1837-1909) und Benedikt Stattler (1728-1797) besonders erboste, war, dass Kant die Möglichkeit dogmatischer Metaphysik bestritt und von spekulativen Beweisen für das Dasein Gottes nichts wissen wollte.
Auf die anfänglich positive Kantrezeption folgte eine Phase der Ablehnung und Anfeindung. Vor allem das Verbot von Kants "Kritik der reinen Vernunft", die mit Dekret vom 11.Juni 1827 auf den Index librorum prohibitorum gelangt war, beförderte die dumpfe Ablehnung Kants im Katholizismus und erschwerte kirchentreuen Katholiken die Möglichkeit, sich selbst kundig zu machen. Mitunter wurde Kant regelrecht verteufelt und galt als zerstörerisches Gift sowohl für den Glauben als auch für den gesunden Menschenverstand.
Für katholische Theologen und Philosophen war Kant viele Jahre lang der große Gegner, auf dessen Widerlegung man alle Kräfte konzentrierte. Seine Behauptung, die Existenz Gottes lasse sich nicht beweisen, aber auch nicht widerlegen, galt als der Versuch, dem Menschen den Weg zu Gott zu versperren.
Der Ruf "Kant irrt" (errat Kant) war lange der Cantus firmus der katholischen Philosophie und Theologie.
Eine Wende zu einer positiven Kant-Rezeption versuchten Karl Rahner und andere fortschrittliche Theologen im 20.Jahrhundert. Doch Rahners Dissertation zu diesem Thema wurde abgelehnt.
Heute jedoch, mehr als zweihundert Jahre nach Kants Tod, versucht man, dem Königsberger Philosophen mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Aber man sollte nicht hinter ihn zurückfallen, sondern ihn überbieten, schreibt Richard Schaeffler in "Stimmen der Zeit" Heft2 /Februar 2004.
Inzwischen hat sich die Einstellung im katholischen Bereich tatsächlich gründlich geändert. Die Katholische Akademie Eichstätt veranstaltete im Juni 2004 sogar ein dreitägiges Symposium über "Kant und den Katholizismus", dessen Tagungsprotokoll, erweitert um mehrere Beiträge und gründliche Anmerkungen, später veröffentlicht wurde.
Offensichtlich war nunmehr der Zeitpunkt gekommen, die wechselvolle Geschichte, die sich zwischen Kant und dem Katholizismus zugetragen hat, nüchtern zu betrachten und sich über die Bedeutung von Kants Philosophie für den religiösen Glauben Gedanken zu machen.
Doch brisante Fragen tauchen immer wieder auf, wie etwa die: Kann man Kants Philosophie 'christlich' nennen? Welche Rolle spielen Kirche und Offenbarung in seinem System? Ist Kant ein Philosoph des Protestantismus oder eher einer des Katholizismus? Untergräbt seine Transzendentalphilosophie Grundpositionen der katholischen Glaubenslehre? Müssen Katholiken weiterhin Furcht vor Kant haben?
Überwiegend ist man sich darin einig, dass Kant eine enge positive Beziehung zum Christlichen gehabt und das Christentum allen anderen Religionen vorgezogen habe. Er habe in der Bibel gern gelesen und sie bis ins hohe Alter geschätzt, behauptet Aloysius Winter, doch sei er bemüht gewesen, seine persönliche nüchterne Frömmigkeit in seinen Veröffentlichungen zu verbergen. Gleichwohl hielt er auch im Hinblick auf die Bibel die Vernunft für den letzten "Probirstein der Wahrheit" und interpretierte selbst die Offenbarung innerhalb der Vernunft.
Axel Schmidt glaubt sogar, dass es Kant nicht allein um die menschliche Freiheit gegangen sei, sondern ebenso um das rechte Denken über Gott. Kants Ideal kritischer Rationalität sei nicht aufgestellt worden, "um den Gottesbezug des Menschen zu verunmöglichen, sondern um ihn angesichts der Gefahr rein naturalistischer Weltbetrachtung zu retten."
Die Aufhebung des Index war zweifellos ein Segen - da sich Katholiken nun nicht mehr auf Aussagen aus zweiter Hand verlassen mussten - und führte zur Belebung des Studiums der Werke Kants durch katholische Leser, das die Indizierung der Kritik der reinen Vernunft lange behindert hatte. Inzwischen befassen sich zahlreiche katholische Forscher mit seiner Philosophie und genießen große Anerkennung als Kantforscher. Eine Rolle mag dabei gespielt haben, dass Kant als Metaphysiker neu entdeckt worden ist. Hilfreich ist die Besinnung auf Kant allemal, da religiöse Fragen, an denen oft der Sinn des menschlichen Lebens hängt, heutzutage oft esoterisch-irrationalen Moden preisgegeben werden. Zudem sollte nicht übersehen werden, mahnt Norbert Fischer, dass auch eine glaubenslose Gegenwart oft Zuflucht sucht bei Kants kritischer Philosophie. Das Kantische Denken kann, laut Karlheinz Ruhstorfer, dazu beitragen, die freiheitlichen Potenzen der christlichen Offenbarung freizulegen - mit entscheidenden Auswirkungen auf Staat und Kirche.
Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Kant gegenwärtig aktueller ist denn je, selbst im kirchlichen Raum, vor allem nachdem man auch hier erkannt hat, dass man Zustimmung zu Sätzen über Natur und Existenz Gottes nicht erzwingen kann. Eine Rückkehr zu Kant hilft daher vielleicht mit, auf ein zukunftsgewandtes Denken vorzubereiten, vielleicht sogar, "um mit Kant über Kant hinauszugehen." (Ob dies allerdings unter dem jetzigen Papst Benedikt XVI. noch möglich ist, dünkt fraglich.)
Dass Kant gerade im Hinblick auf Moral und Freiheit aktuell geblieben oder wieder geworden ist, das also haben inzwischen auch katholische Theologen erkannt.
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