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Der Witz als Waffe im Kampf ums Dasein

In der Vergangenheit diente im Judentum der Witz nicht nur dem Vergnügen oder der Erbauung. Im "Kampf ums Dasein" und ums Überleben war er eine unentbehrliche, weil nahezu einzige Waffe, insbesondere in der Diaspora, wo sich die Juden als Minderheit ständig im Verteidigungszustand befanden. Viele Situationen hätten Juden ohne die Hilfe des Witzes kaum bewältigen können. Mit ihm versuchten sie, der ihnen feindlich oder gleichgültig gesonnenen Umwelt Paroli zu bieten und sich gleichzeitig, schwankend zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Mut zu machen, trotz allen Ungemachs weiterzuleben. Durch Witze spielten sie ihre Angst herunter, verwandelten Niederlagen in Siege, zogen das angeblich Erhabene ins Lächerliche und gewannen so emotionalen Abstand von dem, was sie bedrückte. Mitunter ist der jüdische Witz gekennzeichnet durch eine Art störrischen Stolzes, häufiger noch durch eine Melancholie eigener Prägung, wahrscheinlich aus Trauer darüber, schreibt die jüdische Publizistin Salcia Landmann, dass sich der Anspruch, den die Religion an Juden stellte, und die Realität, der sie ausgesetzt waren, nie deckten, so dass sie darauf angewiesen seien, Spiegelgefechte mit der Wahrheit zu führen.

Der kaum überbrückbare Abgrund zwischen dem prophetischen Pathos über die Erwähltheit des jüdischen Volkes und der Banalität der konkreten Judenheit könne nur, meint auch Schalom Ben-Chorin, durch eine Doppelbrücke aus Glauben und Humor überdeckt werden. Ein Beispiel solch gläubigen Humors hat Friedrich Torberg von Albert Einstein in einem köstlichen Vierzeiler überliefert: "Schau ich mir die Juden an, hab ich wenig Freude dran. Fallen mir die andern ein, bin ich froh, ein Jud zu sein."

Der jüdische Autor und Historiker Chaim Bloch wiederum weist darauf hin, dass der Grundtrieb des Judenwitzes orientalischer talmudischer Geist sei. "In ihm ist die Linie gegeben, die zur Judenseele hinführt. Er bezieht sich überwiegend auf rein jüdische Dinge", betont Chaim Bloch in seinem Vorwort zu einem Sammelband mit jüdischen Witzen und Anekdoten, er "bewegt sich im rein jüdischen Milieu und ist dem Westeuropäer unbekannt. Dieser Witz ist keusch und bescheiden, bietet einen eigenartigen Humor, in welchem Sanftmut, Verdruss, Freude, Traurigkeit, Ernst und Spaß miteinander kämpfen."

In scherzhaften Anspielungen wird in jüdischen Witzen über Menschen und Dinge geurteilt und durch ein fein geschliffenes Wort oder eine witzige Redewendung die eigene Anerkennung, das eigene Missfallen und die eigene Meinung zum Ausdruck gebracht, die im Exil von Diasporajuden nicht offen ausgesprochen werden konnten. Oft streuten Juden in ihren Witzen mit staunenswerter Gelassenheit eine kleine Bosheit mit ins Gespräch, die so fein und unverfänglich war, das selbst die Angesprochenen nicht beleidigt sein konnten, sondern lächeln, ja sich freuen mussten.


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