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Jüdische Witze sind nicht immer lustig.
Der jüdische Witz ist das Ergebnis von einzigartigen Umständen und Voraussetzungen auf religiösem, historischem, geistigem und sozialem Gebiet, die besonders geeignet waren, Witze von ungewöhnlicher Tiefe und Schärfe zu erzeugen und verdrängte Wahrheit ans Licht zu holen. Ohne seinen tragischen Hintergrund ist der jüdische Witz kaum zu verstehen. Kein Wunder, dass er in der Weltliteratur eine Sonderstellung einnimmt.
Man lacht, lächelt und schmunzelt über jüdische Witze, aber komisch sind sie keineswegs. Gibt es doch nichts Ernsteres als jene Witze, die in Tagen der Bedrängnis entstanden sind, und zwar dank der Fähigkeit vieler Juden, auf dem Hintergrund des eigenen Leidens einen Witz zu machen. Indessen sollte nie vergessen werden, dass Elend und innere Not Geburtshelfer und Paten jüdischer Witze sind und dass in ihnen Bitterkeit und Leid nicht ein für allemal beiseite gelacht werden, sondern sich fortsetzen und das Schicksal der meisten Juden bis in die Gegenwart hinein bestimmt haben.
Einen ernsten Hintergrund hat beispielsweise folgende typisch jüdische Anekdote, die zeigt, wie Juden eine für sie bittere und anscheinend ausweglose Lage verspottet haben:
"In einem Wiener Reisebüro erkundigte sich nach dem Einmarsch Hitlers ein Jude nach Auswanderungsmöglichkeiten. Die Angestellte des Reisebüros hatte den Globus vor sich und fuhr mit dem Finger von Land zu Land und sagte: "Auswanderung nach Palästina ist gesperrt, die amerikanische Quote ist bereits vergriffen, Visum für England sehr schwer, für China, Paraguay und Brasilien braucht man finanzielle Garantien, Polen erlaubt selbst polnischen Juden keine Wiedereinreise." Der Jude deutete resignierend mit dem Zeigefinger auf den Globus und fragte: "Außer dem da haben Sie nichts?"
Und hier noch zwei weitere Geschichten aus unserem Jahrhundert: In bösen Situationen, bekannte Manès Sperber in einem seiner Bücher, tröste er sich selber zuweilen mit solchen Witzen. "Da gibt es folgende Geschichte: In einem jüdischen Dorf im Osten kommt es in der Nazizeit zu immer grässlicheren Übergriffen, Pogromen und Erschießungen. Einer kommt ins Nachbardorf und berichtet. Man fragt ihn:' Und was habt ihr da gemacht?' Er antwortet:'Beim letzten Mal haben wir nicht nur 75 Psalmen gebetet, sondern alle 150. Und wir haben gefastet wie am Versöhnungstag.' 'Richtig', gibt man ihm zur Antwort, 'man darf sich nicht alles gefallen lassen, man muss sich wehren'."
"Ein 'Neutraler' sagt vor den Reichstagswahlen:'Ich wähle deutsch-national.' 'Antisemitisch?', fragt sein Gegenüber entrüstet. 'Verstehen Sie - wenn die Juden geschlossen in die deutsch-nationale Partei gehen, so erlangen wir die Mehrheit, und dann ist's eben eine semitische Partei'."
"Der Ernst muss heiter sein, der Scherz muss ernsthaft schimmern", sagte Novalis und Schopenhauer: "Je mehr ein Mensch des ganzen Ernstes fähig ist, desto herzlicher kann er lachen."
Das gilt auch für den jüdischen Humor. Ohne den Ernst ist er nicht zu denken. Friedrich Torberg hat in seiner "Tante Jolesch" sogar noch die Schicksals-Turbulenzen des Zweiten Weltkriegs seinen Lesern mit melancholischem Witz nahe gebracht. Theodor Reik bemerkte einmal: "Jaweh hat es dem Juden unserer Zeit verwehrt, sich in Klagen auszusprechen, die ihm die Umwelt gewinnen könnten. Indem er ihn aber witzig sein ließ, gab ihm sein Gott zu sagen, was er leide."
Gelegentlich wird in jüdischen Witzen nicht nur das jüdische Schicksal, sondern die gesamte menschliche Situation voll Schmerz und Bitterkeit in Frage gestellt. Der jüdische Witz mache deutlich, so hat Salcia Landmann ihre Recherchen und Ansichten über dieses Thema zusammengefasst, "dass gerade in einer am eindringlichsten mit dem Handwerkszeug der Logik begriffenen Welt die Gleichungen, die ohne Rest aufgehen, nicht stimmen können. Der jüdische Witz ist heiter hingenommene Trauer über die Antinomien und Aporien des Daseins."
Gleichzeitig halten Juden, so Oswald LeWinter, in ihren Witzen an der Hoffnung fest, dass sie nicht immer die gequälten Opfer eines grausamen Schicksals sein werden, dass sie endlich die Oberhand gewinnen, gerechtfertigt und somit siegreich sein werden. Und diese Hoffnung wiederum verbinde sie mit der gesamten Menschheit.
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