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Der Humor im Ostjudentum

Auch Ostjuden nahmen sich die Freiheit, auf ernste Fragen humoristisch zu reagieren, getreu dem Motto des Gründers des Chassidismus, Rabbi Israel Baal-Schem-Tov: "Gott will frohe Menschen, der Satan will traurige." Die Traurigkeit zieht herab, die Freude erhebt, so kommentiert Ben-Chorin den Ausspruch des Rabbis und zitiert zusätzlich den Psalmisten, der gesagt hat: "Dienet dem Herrn in Freuden." Das sei nicht immer leicht, gesteht Ben-Chorin, aber wir sollten uns wenigstens bemühen, auch die heiteren und komischen Seiten in unserem Leben und in dem unserer Umwelt zu sehen und uns daran zu erfreuen.

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat sich in seinen chassidischen Erzählungen an die ostjüdische Tradition angeschlossen. Für ihn war der Humor der "Milchbruder des Glaubens". Von ihm stammen auch die Sätze: "Wenn ein Mensch nur Glauben hast, steht er in Gefahr, bigott zu werden. Hat er nur Humor, läuft er Gefahr, zynisch zu werden. Besitzt er aber Glaube und Humor, dann findet er das richtige Gleichgewicht, mit dem er das Leben bestehen kann." Offensichtlich war der Humor für Buber ohne den Hintergrund des Glaubens nicht denkbar. Ähnlich dachte der jüdische Theologe Jakob Petuchowski. Er verurteilte eine Theologie ohne Humor sogar als Gotteslästerung. Nebenbei bemerkt: die christlichen Kirchen wären gewiss gut beraten, wenn auch sie dem Humor einen gleich großen Stellenwert wie die jüdischen Tradition einräumten.

Wenn ostjüdische Erzähler wie Scholem Alechjem (1859-1916), der Verfasser von "Tewje, der Milchmann" mit lächelnder Selbstironie oder beißendem Spott über Torheit, Trägheit, Geschwätzigkeit, Neugier, Verschlagenheit, Schmutz oder mangelhafte Bildung des eigenen Volkes spotten, wird ein Lachen provoziert, das einem fast im Halse stecken bleibt. Scholem Alejchem erklärt, die Wurzeln dieses spezifisch jüdischen Humors seien in den "Gegensätzen zwischen den äußeren Lebensbedingungen des dunklen Ghettos und den reinen Seelenregungen seiner Bewohner" zu suchen. Das Spannungsverhältnis resultiere aus dem für Ostjuden damals kaum noch lösbaren Widerspruch zwischen dem Wunsch, Traditionen zu bewahren, die ihnen ein Überleben, Identität und Würde ermöglicht hatten, und dem emanzipatorischen Drang, aus der Enge und Isolierung hinauszugelangen. Für Westeuropäer und assimilierte Juden dagegen wurden Ostjuden wiederholt zu Zielscheiben distanzierenden bösen Spottes und alberner Witzeleien, die von jüdischem Humor meilenweit entfernt sind.

Hier noch zwei weitere Kostproben ostjüdischen Humors: "Liebe Eltern", schreibt ein Jude, der in der russischen Armee dient, nach Hause, es geht uns gut. Wir gehen täglich ein paar Meilen zurück. So Gott will, hoffe ich, zu Rosch-hashana zu Hause zu sein."

"Im zaristischen Russland fiel ein Jude, der nicht schwimmen konnte, in die Newa. Er schrie um Hilfe; in der Ferne spazierten zwei Polizisten - aber sie gingen gleichgültig weiter. Da kam dem Juden in der Not eine Idee: 'Nieder mit dem Zaren!' brüllte er aus Leibeskräften. Im Nu sprangen beide Polizisten ins Wasser und schleppten ihn heraus, um ihn ins Gefängnis zu bringen.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, der den Witz eingehend analysiert hat und dabei in erster Linie auf jüdische Witze zurückgriff, ein Jude war. Er selbst hat gern seine Vorträge und Publikationen mit Anekdoten, Witzen, fröhlichen Zitaten und sarkastischen Bemerkungen gewürzt, sogar sein grimmigstes Buch "Das Unbehagen in der Kultur". Kurz vor seinem Tod begegnete er den Nazis mit trotzigem Witz. Unmittelbar vor seiner Abreise aus Österreich verlangten diese, er solle eine Erklärung unterschreiben, dass man ihn nicht misshandelt habe. Freud gab seine Unterschrift mit der Anmerkung: "Ich kann die Gestapo jedermann auf das beste empfehlen."

Aber selbst bei Freud weist das Repertoire der von ihm veröffentlichten Witze ein Maß an kaum verhüllter Feindseligkeit gegenüber Juden aus Osteuropa auf. Mit Vorliebe erzählte er aggressive tendenziöse Witze über galizische oder osteuropäische Juden, über ungepflegte Männer, denen Kamm, Seife und gute Manieren völlig fremd sind, wie etwa folgenden: "Zwei Juden treffen in der Nähe des Badehauses zusammen. 'Hast du genommen ein Bad?' fragt der eine. 'Wieso' fragt der andere, 'fehlt eins?'" Offenbar war diese krude Karikatur des ungewaschenen Juden, der eindeutig osteuropäischer Herkunft ist, nach Freuds Geschmack.


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