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An der Seite der leidenden Juden

Noch 1938 hatte Klepper seine Pflicht zum Weiterleben damit begründet, den eigenen Anteil am Leiden der Juden mittragen zu müssen. "Es zehrt an allen Kräften, die zur Leistung nötig sind, dies dauernde und immer noch wachsende Unrecht an den Juden in Deutschland ohnmächtig mit ansehen zu müssen. Die Welt und das Volk sehen darüber hinweg. Es gibt nur eins, das einen vor dem Schlimmen bewahrt: Dass man selbst seinen Anteil tragen muss am Leiden dieses furchtbaren Unrechts."- "Die Ungerechtigkeit in der Welt so offen, so nahe miterlebt zu haben, ist eine elementare Erfahrung. Verwertbar ist diese nicht. Und erholen kann man sich nicht mehr von ihr."(M.337)

Eine Art Glaubensbekenntnis hatte Klepper am 12.Mai 1938 in sein Diarium niedergeschrieben. Es lautet: "Wohl dem, der auf die Seite der Leidenden gehört."(T.355) Schon am 31.3.1933 hatte er sich gefragt: "Warum soll es mir besser gehen als den Juden? Lieber dort sein, wo Gott leiden lässt, als jetzt mit Gott für das Vaterland emporgetragen zu werden." (Ob Gott es war, der die Juden leiden lässt, dünkt aus heutiger Sicht doch mehr als fraglich, aber Klepper sah das offensichtlich anders.) Jochen Klepper war nicht nur durch seine eheliche Bindung, auch durch seine theologische Prägung, nach eigenem Bekunden, in das jüdische Schicksal einbezogen. "Es ist wohl mehr wert als die guten Tage, die man ohne das gehabt hätte," schrieb er an das mit ihm und Hanni befreundete Ehepaar Eva-Juliane und Kurt Meschke, die ebenfalls in einer sogenannten "Mischehe" lebten wie auch der Dichter Werner Bergengruen, den Klepper gleichfalls gut kannte. (M.38) 27.3.1933: "Das Jüdische hat in meinem Leben zu weiten und tiefen Raum, als dass ich jetzt nicht in all dem Guten, das immer noch über meinem eigenen Leben reichlich bleibt, sehr leiden müsste. Denn mir ist, als gäbe die Heilsgeschichte der Juden der Weltgeschichte den Sinn."

Die Tatsache, dass Hanni Stein Jüdin war - eine säkularisierte Jüdin freilich, die dem jüdischen Glauben völlig neutral gegenüberstand und, wie Klepper erkannte, alles durchmachen musste, jedenfalls zunächst "ohne die Nähe Gottes" - führte sowohl zum Bruch mit seiner Familie als auch zur Verflechtung und Auseinandersetzung mit dem jüdischen Schicksal, zu einem intensiven Nachdenken über die heilsgeschichtliche Bedeutung des Judentums für den christlichen Glauben und die Menschheit und zu einem Teilhaben am Leiden der Juden, aber auch zu einer Fülle geistiger Inspirationen.

Klepper klammerte sich bei seinen Überlegungen an Römer 11.(zitieren) "An der Seite der leidenden Juden müssen wir unsere Gottesfeindschaft bekennen."

Am 8.11.1938 trug er unter dem Bibelwort aus Johannes 16,33: "In der Welt habt ihr Angst;aber seid getrost,ich habe die Welt überwunden", in das Tagebuch ein: "Die Beunruhigung der Juden in Deutschland bleibt furchtbar und lastet schwer auf unserem Leben.--Wann greift Gott ein? Menschen können dies Problem nicht mehr lösen."

Zu überlegen wäre allerdings, wie Klepper sich wohl dieses Eingreifen vorgestellt haben mag? Mitunter stellt er theologische Reflexionen an, die man nicht immer ohne weiteres nachvollziehen kann, zum Beispiel, wenn er behauptet: "Dem Preußentum und dem Judentum waren eins gemeinsam, der Knecht-Gottes-Glaube." Klepper sieht Israel in der Rolle des Gottesknechts, gerade auch in dem, was er durchleidet. Geht er zu weit? Eine sicherlich nicht ganz unberechtigte Frage.

Das Geschick der Juden in Deutschland ist, laut Klepper, "für die Staaten, Völker, Kirchen.. ein Zeichen ..,an dem die letzten Hintergründe der Zeitgeschichte offenbar werden."

12.Oktober 1941: "Ja, ich habe das Unglück der Völker gesehen und stets so nahe an dem mystischen Unheil des einst auserwählten Volkes. Muss es alle Schuld selbst abbüßen? Rettet es Gott, indem er es durch 'unschuldiges und stellvertretendes Leiden' Christus ähnlich macht? Wirkt er das Seine unter den Juden durch die Judenchristen, deren äußeres Schicksal sich nicht unterscheidet? Schon erfährt man von den Schwierigkeiten, die sie unter anderen Juden haben." (551)

Am 30.3.1933 schreibt Klepper:"Ich bin kein Antisemit, weil kein Gläubiger es sein kann.. Aber ich glaube an das Geheimnis Gottes, das er im Judentum beschlossen hat; und deshalb kann ich nur darunter leiden, dass die Kirche die gegenwärtigen Vorgänge duldet. Ich ahne, was es heißt, 'Knecht Gottes' zu sein." (W.73)"

8.September 1933: "So oft ich die Bibel lese, ist es das gleiche: die gleichen Worte sind an das jüdische Volk gerichtet. Die gleichen Worte bezeichnen Amt und Passion Christi. Die gleichen Worte reden mich in meiner innersten Geschichte an, die gleichen Worte weiß ich an alle Gläubigen gerichtet. Ich weiß nichts Lebenswerteres als den Wahnsinns des Glaubens." (T.89)

Die vorbehaltlose Anerkennung der Ersterwählung der Juden durch Gott, wie sie im schon erwähnten und zitierten 11.Kapitel des Römerbriefes thematisiert wird, war für Klepper unabdingbarer Bestandteil seiner christlichen Identität.

Am 14.9.1935, einen Tag vor der Verabschiedung der "Nürnberger Gesetze" macht sich Klepper Gedanken über Israels Erwählung und Geschick. "Wie fruchtbar aber muss es um den Menschen bestellt sein, dass man nicht zu klagen wagt, es geschehe einem Unrecht.. unmöglich an der Erwählung zu zweifeln, wenn Gott so gesprochen hat, wie er sprach. Was ist mit dem jüdischen Volk? Erwählung, die allen Schauder der Verwerfung vorher durchmachen muss, ehe die Erwählung begriffen wird?"

Klepper ist nicht nur durch seine persönliche Einbeziehung in das jüdische Schicksal zu der Erkenntnis gekommen, dass noch so unverständliche Schicksalsschläge die Erwählung Gottes nicht außer Kraft setzen können. Das jüdische Volk erfährt in der gegenwärtigen Bedrängnis nicht die Verwerfung durch Gott, sondern ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur vollen Erkenntnis dessen, was Erwählung heißt.

Er hat daher auch nicht den von den Juden angeblich verworfenen und getöteten Christus vor Augen, an dem die Juden zu Fall kommen werden, wie das jahrhundertelange kirchliche Lehre war, sondern den Christus, der selbst das Leiden Israels mitträgt, Brüder seiner Brüder ist, Symbol für das Leiden Israels, des eigentlich Erwählten.


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