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Kontinuierliche Anwesenheit seit 1671
Die neuere Geschichte der Juden in Preußen beginnt 1671, als sich der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620-1688) entschloss, fünfzig wohlhabende jüdische Familien, die aus Wien vertrieben worden waren, aufzunehmen, damit sie zusammen mit französischen Hugenotten die vom Dreißigjährigen Krieg entvölkerten Landstriche besiedelten. Es war mithin nicht so sehr der Geist religiöser Duldsamkeit, der Brandenburg-Preußen zum Asyl von Flüchtlingen machte, sondern die Politik der Staatsklugheit, der handfesten Interessen, die diese Einwanderungspolitik bestimmte. Bevölkerungspolitische Ideen spielten dabei ebenso eine Rolle wie finanzielle Motive. Der Kurfürst, der Juden in erster Linie als Kaufleute, Händler und Geldverleiher schätzte, erhoffte sich von ihnen, dass sie nicht nur loyale Untertanen sein, sondern auch die notwendigen Gelder mitbringen würden, um den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes anzukurbeln.
Trotz seiner aufklärerischen Grundhaltung machte der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm deutliche Unterschiede bei der Aufnahme verschiedener Volksgruppen in Brandenburg. Während er Niederländer, Hugenotten und andere protestantische Zuwanderer - wie jene aus dem Salzburger Land - ohne bestimmte und einschränkende Auflagen willkommen hieß, mussten die jüdischen Familien, denen er den Zuzug gewährte, ein
Mindestvermögen von 10.000 Talern nachweisen. Gleichzeitig wurde zuwandernden Juden ausdrücklich die Errichtung einer Synagoge verboten. In Privathäusern dagegen waren ihnen Gebet und Zeremonie gestattet mit der Mahnung, "sich alles Lästerns und Blasphemierens bei harter Strafe zu enthalten." Die Nachfolger des Kurfürsten, der Soldatenkönig und der Philosoph von Sanssouci, haben sich nicht viel anders verhalten als der Große Kurfürst. Auch sie orientierten ihre Judenpolitik nicht an der Toleranzidee und dem Prinzip der christlichen Nächstenliebe, sondern an den steuer- und wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten des sich herausbildenden merkantilistischen Industriestaates.
Festzuhalten aber bleibt, dass von dem bekannten Edikt von 1671 an, mit dem der Große Kurfürst Juden Niederlassungsrechte gewährt hatte, die kontinuierliche Anwesenheit einer jüdischen Minderheit im brandenburgisch-preußischen Staat
datiert und die Geburtsstunde mehrerer jüdischer Gemeinden.
Trotz einiger Schönheitsfehler kann die Bevölkerungspolitik des Großen Kurfürsten als durchaus fortschrittlich bezeichnet werden. Immerhin machte ein weiteres Edikt aus dem Jahr 1685 auch Juden offiziell und theoretisch zu gleichberechtigten Bürgern und erlaubte ihnen erstmals den Besuch der Universität. Anders als in den damaligen Nachbarländern wurden Juden in Brandenburg-Preußen als Minderheit akzeptiert, zumindest von der Obrigkeit, weniger jedoch von der einheimischen Bevölkerung und den Kaufleuten und Zünften. An manchen Orten, zum Beispiel in Freienwalde, hat sich die Bevölkerung gegen die Anwesenheit von Juden in ihrem Dorf lauthals gewehrt und beim Kurfürsten protestiert, allerdings vergeblich. Kaufleute und Zünfte beschwerten sich ebenfalls wiederholt beim Kurfürsten. In der "Bittschrift der sämtlichen Innungen in Berlin und Kölln" vom 23.August 1673 heißt es: "Diese Unchristen laufen von Dorfe zu Dorfe, von Städten zu Städten, halten alle Tage Jahrmarkt, dass wir nicht mehr
den Fuhrlohn noch das liebe Brot verdienen." Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm antwortete auf die Klagen zuerst kurz und bündig mit dem Hinweis, dass die Juden mit ihren Handlungen dem Lande nicht schädlich, sondern nutzbar seien.
Aber auf die Dauer blieben die Beschwerden nicht ohne Wirkung auf ihn und erst recht nicht auf seine Nachfolger, zumal die jüdische Bevölkerung durch den Zustrom polnischer Juden in die Mark weiter zunahm. Ohnehin waren der Duldung von Juden immer dort Grenzen gesetzt, wo angeblich christlicher Glaube und christliche Überzeugung tangiert wurden.
Der Nachfolger des Großen Kurfürsten, Friedrich I. (1657-1713) - er war der erste König von Preußen - , schränkte die Rechte von Juden erheblich ein, verlängerte aber ihre Schutzbriefe gegen eine Gebühr von 20.000 Talern (später gab er sich mit 16.000 Talern zufrieden). Sein Nachfolger wiederum, Friedrich Wilhelm I. (1688-l740) , der als knausriger Soldatenkönig in die Geschichte eingegangen ist, war noch härter. 1714
wurde zwar die erste Synagoge in seiner Anwesenheit eingeweiht und der provisorische Aufenthalt der Juden in einen kontinuierlichen umgewandelt, trotzdem befahl der König die Missionierung von Juden - freilich ohne Erfolg. Friedrich Wilhelm I., der "eiserne König", empfand gegenüber Juden eigentlich keine Abneigung. Er betrachtete sie lediglich von fiskalischem Standpunkt aus als Einnahmequelle, die er so ergiebig wie möglich zu halten suchte. Er erfand daher immer neue Judensteuern und hat auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm nur an reichen Juden gelegen war. Die Aufnahmezulassung wurde an den Vermögensnachweis in Höhe von 10.000 Talern gebunden. Nur ein Sohn oder eine Tochter wurden zur Eheschließung zugelassen, die außerdem mit einer hohen Abgabe zu erkaufen war.
Der steigende Finanzbedarf der Herrscher machte die Erschließung neuer Steuerquellen notwendig. Unter diesem Aspekt stand auch die Judenpolitik. Juden wurden zwar immer noch primär unter dem Aspekt der Nützlichkeit gesehen, doch akzeptierte man sie in gewissem Maße allmählich auch als Gesprächspartner. In den Jahren 1700, 1714, 1730 und 1750 wurden in Preußen vier umfassende Judenordnungen oder Generalreglements erlassen, die wesentliche Erleichterungen für preußische Juden vorsahen. Als erstem Juden wurde 1791 Daniel Itzig und seiner Familie wegen besonderer Verdienste um die Krone der preußische Staatsbürgerbrief verliehen.
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