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Wie sieht es in unserer Literaturlandschaft aus?
Gegen Ende des 16.Jahrhunderts und im 17.Jahrhundert war Gott anscheinend ein etwas häufigerer Besucher in der Werkstatt der Poeten und in der Einsiedelei der Metaphysiker, als er es in neuerer Zeit ist. Erinnern wir uns zunächst an einige ältere Schriftsteller, an Heinrich Böll, zum Beispiel an seinem Clown, der eine Schimpfpredigt hält gegen "die laufende Produktion von falschen Weltbildern." In "Dr.Murkes gesammeltes Schweigen" ist von jenem höheren Wesen, "das wir verehren", die Rede. Auch Frischs Stiller enthält Aussagen zu religiösen Themen. Camus wird in diesem Zusammenhang gleichfalls häufig genannt, obgleich für ihn der Himmel leer war. Aber diese Autoren, die ihre Bücher vor einigen Jahrzehnten schrieben, sind schon lange tot.
Kommt in der Moderne die Religion nicht mehr an? Im Hinblick auf das Wort "Gott" sind die Texte der modernen Literatur auffallend zurückhaltend. Gott scheint, seitdem durch die Aufklärung alle Lebensbereiche zunehmend säkularisiert wurden, aus Kunst und Literatur, öffentlicher Diskussion und privater Lebensplanung verschwunden zu sein.
Religiöse Dichter, die in poetischer Form eine religiöse Botschaft weitergeben, findet man heute kaum. Doch mit religiösen Zeichen, Bildern, Begriffen und Mythen aus der Welt der Religion arbeiten immer noch viele. Bei nicht wenigen Schriftstellern, auch wenn sie längst aus der Kirche ausgetreten sind, ist das abendländisch christliche Erbe noch sehr lebendig.
Begibt man sich auf die Suche nach religiösen Spuren in der modernen Literatur, so mutet dieses Unterfangen zunächst etwas mühsam an, stellt sich aber als nicht ganz vergeblich heraus. Denn die säkularisierte Gesellschaft ist keineswegs eine religionslose Gesellschaft, und so ist es kein Wunder, dass auch in der Literatur die transzendentale Obdachlosigkeit des Individuums vorkommt und mehr oder weniger verhüllt die Suche nach dem, was trägt. (Zwischenbemerkung: Den Begriff transzendentale Obdachlosigkeit prägte Georg Lukács in seiner Theorie des Romans (1916). Transzendental obdachlos sind mithin jene, die die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen und religiöse Antworten darauf nicht akzeptieren, weil sie glauben, dass sich alles mit dem irdischen Dasein erschöpft, so dass es für Ungerechtigkeit, Gewalt und Unglück kein Ausgleich geben könne, zumindest nicht in einem Jenseits. Das sind also Menschen, die nicht die Hoffnung haben, wie sie Horkheimer gegen Ende seines Lebens insgeheim hegte, dass die "Sehnsucht nach dem Ganz Anderen" nach dem Tod Erfüllung finden könnte. Auch Goethe war von dieser Hoffnung getragen, sagte er doch: "Es kann die Spur von unseren Erdentagen nicht in Äonen untergehen.")
Aber zurück zu unserem Thema. Religiöse Bezüge werden in modernen zeitgenössischen Erzählungen und Romanen der letzten Jahre durchaus thematisiert. Die zeitgenössische Literatur ist gar nicht so "gottfern" wie es oft den Anschein hat, sondern offen für religiöse Fragestellungen. Allerdings ist sie nicht kirchengebunden und schneidet nicht selten unkonventionelle religiöse Problemfelder an. Folgende Romane sind hierfür ein gutes Beispiel:
In Uwe Timms Roman "Rot", in dem es um Liebe und Tod geht, stellt der Held die Frage nach dem Sinn des Lebens. Adolf Muschg lässt in seinem Roman "Sutters Glück" seine Personen religiöse Fragen erörtern und über Gott und Gerechtigkeit, über Sinn und Bestimmung des Lebens und der Welt philosophieren - natürlich ohne abschließendes Ergebnis und auch nur ganz nebenbei. Der Schweizer Autor selbst hat in verschiedenen Beiträgen und Interviews seine christliche Erziehung in der Kindheit erwähnt, die nicht nur für ihn, sondern für viele ältere Menschen unseres Jahrhunderts offensichtlich eine schwere Hypothek gewesen ist. Muschg hat nämlich unter dem religiösen Anspruch seiner Eltern, besonders seiner frommen Mutter, sehr gelitten.
In seinem Parzival-Roman "Der Rote Ritter" hat er Genesis Eins, und zwar den Mythos von der Erschaffung der Welt, detailliert nacherzählt, beinahe so, als sei es notwendig, im letzten Jahrzehnt des 20.Jahrhunderts den Schöpfungsbericht in allen Einzelheiten in Erinnerung zu rufen, ihn kurz und bündig zusammenzufassen, als wäre er im Zuge der Modernisierung und Säkularisierung, spätestens aber im ausgehenden 20.Jahrhundert, aus dem Gedächtnis der Welt verschwunden, als wäre sowohl die rabbinische wie die patristische Tradition aus dem öffentlichen Bewusstsein ausgeblendet.
Parzival findet in den ihm erzählten Mythen seine eigenen Nöte aufgehoben und kommt so zum Nachdenken über Begriffe wie "Gewissen" und " Sünde". Er sieht - befindet Johann Holzner - die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft neu - "mit jungen Augen."
Dagegen hat Muschg die Teufelsgestalt, die sich dem Messianischen widersetzt, in seinem Roman "Das Licht und der Schlüssel. Erziehungsroman eines Vampirs" verarbeitet.
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